Wie entwickeln sich in den nächsten Jahren die vier Bereiche Technologie, Kommunikation, Gesellschaft & Politik sowie Wirtschaft & Arbeit auf unserem Weg in die digitale Zukunft? Das Institute of Electronic Business (IEB) hat zur Klärung dieser Frage ein Expertengremium, den Rat der Internetweisen, einberufen und gemeinsam mit diesem die Schlüsselfaktoren der digitalen Kommunikation ermittelt. Heute stellen wir Ihnen hier den Schlüsselfaktor „Digitales Ich“ vor, ein Phänomen des Internetzeitalters, welches eng zusammenhängt mit dem Aufkommen der Sozialen Netzwerke. Der Trend geht dabei ganz klar vom Citizen (dem Bürger einer Stadt oder eines Landes) zum Netizen (dem Netz-Bürger).
Netzpersönlichkeiten als Alternativen zum realen Ich
Die Studie des IEB im Zusammenspiel mit dem Rat der Internetweisen konstatiert: „Social Media verändern die Kommunikation und den Menschen. Er wird um eine digitale Identität, das „digitale Ich“, erweitert und bekommt eine eigene Persönlichkeit im Netz, die er beispielsweise durch Social-Media-Profile darstellt. Diese bieten auch die Möglichkeit, Alternativen zum „realen Ich“ auszuleben.“
Aufkommen der Sozialen Netzwerke
Tatsächlich ist es jetzt etwa 25 Jahre her, seit mit der Erfindung des World Wide Web das schon länger bestehende Internet aus seinem Dornröschenschlaf erwachte. Heute nutzen etwa 3,6 Milliarden Menschen das Internet. Die Geburtsstunde der Sozialen Netzwerke schlug erst nach der Jahrtausendwende: StayFriends wurde in 2002 gegründet, Facebook gibt es seit 2004. Auch die Videoplattform YouTube, die zu Google gehört, wurde in 2005 gegründet. Ein weiteres Urgestein der sozialen Netzwerke, der Mikroblogging Dienst Twitter existiert seit 2006 und heute nutzt ihn selbst der amerikanische Präsident. Aktuell auf dem Vormarsch ist Instagram, eine in 2010 gegründete Plattform zum Teilen von Fotos und Videos. Im Juni 2018 konnte Instagram stolz verkünden, dass die Zahl der Nutzer auf eine Milliarde angestiegen war. Instagram ist damit fast so beliebt wie der Messaging Dienst WhatsApp, der im Januar 2018 auf etwa 1,5 Milliarden Nutzer kam. Sowohl Instagram als auch WhatsApp gehören zum Portfolio von Facebook. Neben vielen weiteren Social Media Diensten, die der Kommunikation dienen, gibt es auch Plattformen wie XING oder LinkedIn, auf denen das Digitale Ich den beruflichen Werdegang einer Person widerspiegeln soll und etliche Plattformen mehr.
Wechselnde Identitäten im Netz
Wir alle, die wir im Netz surfen oder Online-Dienste in Anspruch nehmen, treten mit wechselnden Identitäten auf. Etwa mit der sogenannten gesellschaftlich validierten Identität, einer Identität, die die echten persönlichen Daten enthält und die Vorbedingung z. B. zur Eröffnung von Bankkonten ist. Es gibt des Weiteren die selbsterklärte Identität, hier werden die eingegebenen Daten wie Name oder E-Mail nicht gegengeprüft. Dann gibt es noch die pseudonymisierte und die anonymisierte Identität, bei beiden geht es darum, dass keine Verbindung zur echten Identität einer Person hergestellt werden soll. Während berufliche Netzwerke oder Zugänge zum Online-Banking u.v.m. nur funktionieren, wenn man seine Klardaten eingibt, ist dies bei Sozialen Netzwerken wie Instagram nicht unbedingt eine notwendige Voraussetzung. Die wechselnden Identitäten gleichen unterschiedlichen Eintrittskarten, um die verschiedenen Facetten einer Persönlichkeit im Netz zu präsentieren.
So posten auf Instagram Menschen Fotos, mit denen sie gezielt einen ganz bestimmten Lifestyle zur Schau stellen wollen. Dies gipfelt im Trend Job Influencer, mit dem mittlerweile gutes Geld verdient werden kann. Auf Facebook stellen sich viele mit ihren sozialen Aktivitäten dar und im Dating Portal, wo es ums Flirten geht, von einer noch privateren Seite.
Kinder und Soziale Medien
Gerade auch Jugendliche nutzen die sozialen Netzwerke und stehen dabei unter einem besonderen Druck. In der schwierigen Phase der Pubertät, wo sie ohnehin mit der Suche nach der eigenen Identität beschäftigt sind, müssen sie sich durch immer neue Posts die Sympathien der Freunde sichern und viele Likes generieren. Die meisten artikulieren sich jenseits von Sprachbarrieren auch über Fotos, auf denen schnell zu erkennen ist, wer sich die neuen angesagten Klamotten leisten kann und wer nicht. Die Schattenseite der Präsenz bei Facebook und Co bekommen diejenigen jungen Menschen zu spüren, die wenige Likes auf sich ziehen und dies als Ausgrenzung empfinden, man spricht hier sogar von der sogenannten Facebook-Depression (Quelle:https://imblickpunkt.grimme-institut.de/wp/wp-content/uploads/2014/12/IB-Das-digitale-Ich.pdf). Auch Suchtgefahr ist ein Thema: Viele Jugendliche verbringen täglich viel Zeit in den sozialen Netzwerken und manche geraten dabei in eine regelrechte Abhängigkeit von ihrem Smartphone. Hier gilt es, schon in Kindergarten und Schule die Medienkompetenz zu stärken, die Eltern sollten eine Vorbildfunktion einnehmen.
Unsterblichkeit unserer Daten im Netz
Eine Vielzahl von Problemen geht mit den Digitalen Identitäten einher. Wie können die unzähligen Passwörter – das Eintrittstor zu den Profilen – geschützt werden und somit dem Datenmissbrauch vorgebeugt werden? Was geschieht mit den Daten nach dem Ableben einer Person? Die im Internet über sie vorhandenen Daten existieren in so vielen Datensätzen, dass es schier unmöglich scheint, alle Kopien davon zu löschen. Auch die neue Blockchain-Technologie basiert genau darauf, dass sie nichts vergisst. Zudem werden die Nutzer der Sozialen Netzwerke immer gläserner. Facebook und Co analysieren alle Aktivitäten und Likes und horten die so gewonnenen Informationen in sogenannten Walled Gardens. Dies dient auch dazu, Werbung zielgerechter platzieren zu können, dem User nur das anzuzeigen, was ihn auch interessieren könnte.
Ausblick
Seit der Jahrtausendwende ist es möglich geworden, sich im World Wide Web neu zu begegnen und neu zu erfinden, in jedwedem Kontext. Ob privat, beruflich oder in der Liebe: Wir schaffen uns mit den von uns im Netz angelegten Profilen neue digitale Identitäten. Dies führt direkt zur Datenschutzproblematik, welche in 2018 durch die EU im Rahmen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten neu geregelt wurde. Jetzt und in Zukunft ermöglichen Digitale Identitäten im World Wide Web ein nie gekanntes Ausmaß an Freiheit und eine Wahrnehmbarkeit rund um den Globus, zugleich aber auch ein nie gekanntes Ausmaß an Kontrolle, indem Datenkraken auf immer raffiniertere Weise die Daten der User abgreifen. Auch erfährt die Wahrnehmung der User auf die sie umgebende Welt eine gravierende Einschränkung, indem die Informationen, die von den Sozialen Netzwerken für die User bereitgestellt werden, immer passgenauer auf sie zugeschnitten und somit viele weitere relevante Themenfelder ausgeblendet werden.
Die Chancen und Herausforderungen des Schlüsselfaktors „Digitales Ich“ auf einen Blick:
Chancen
Menschen erhalten die Möglichkeit, den Grenzen ihres physischen Aufenthaltsorts zu entkommen, indem sie sich im digitalen Raum mit dem umgeben, was sie sich wünschen: bspw. fernen Freunden und Familie und sie interessierenden Themen. Dafür können sie Aufmerksamkeit und Anerkennung erhalten.
Herausforderungen
An Verhalten und Präferenzen der Nutzer angepasste Informationsflüsse können persönliche Öffentlichkeiten erzeugen: In der entstehenden „Filterblase“ wird das bestehende Weltbild verstärkt, diesem Widersprechendes wird ausgeblendet.