Wer ein neues Produkt entwickelt, hat immer auch eine bestimmte Vorstellung davon, wie es genutzt werden soll. Die Realität kann von dieser Vorstellung jedoch stark abweichen, wenn nämlich Kunden oder äußere Umstände die Nutzungsmöglichkeiten des Produkts erweitern oder gar komplett verändern. „New Work“ und „Anders Arbeiten“ sind zugegebenermaßen keine ganz neuen Produkte auf dem Arbeitsmarkt. In unserem Beitrag Anders Arbeiten/New Work– Arbeitsplatz der Zukunft haben wir bereits erklärt, worum es sich bei diesen beiden Begrifflichkeiten handelt und wie sich deren Konzept auf die Arbeit und auf Arbeitsplätze auswirkt. In unserem heutigen Beitrag wollten wir eigentlich schauen, inwieweit New Work und Anders Arbeiten bereits in der Praxis umgesetzt werden und wenn ja in welcher Form. Aktuell wirft jedoch die Corona-Krise ein ganz neues Licht auf gerade diese Konzepte, da Anders Arbeiten für viele Unternehmen plötzlich schon fast zu einer lebensrettenden Alternative zu den noch gestern üblichen Arbeitsabläufen geworden ist.
Selbstbestimmung, Mitsprache, Freiheit und arbeiten von überall auf der Welt
New Work, das ist eine schon fast ins Philosophische gehende Wertehaltung über die Zukunft von Arbeit. Es wird die Sinnfrage gestellt, die Wertschöpfung auf den Prüfstand gestellt und mit alten Konventionen gebrochen. Anders Arbeiten, damit ist die Freiheit gemeint eben nicht von nine to five an einem fest zugewiesenen Arbeitsplatz sitzen zu müssen, sondern sich Ort und Zeit frei einteilen zu können bei gleicher Arbeitsleistung und gleichem Ergebnis. Der Grundgedanke dabei lautet, dass jeder einzelne Mitarbeiter ganz selbstbestimmt den für sich selbst besten Job machen kann. Davon profitieren am Ende auch die Unternehmen. Die nächste Stufe wäre die Forderung nach einem Mitspracherecht über alle Hierarchieebenen im Unternehmen hinweg. Hierarchische Strukturen, die Entscheidungen betreffen, sollen langfristig auf ein Minimum reduziert werden und stattdessen soll im Kollektiv diskutiert und Entscheidungen gemeinsam getroffen werden.
New Work als perfekte Utopie?
Ist New Work eine Utopie, also etwas, das wir uns zwar vorstellen können, dass aber in Wirklichkeit noch gar nicht existiert? Wenn es darum geht, dass nicht länger die Führungsebene allein den Arbeitsalltag vorgibt und Entscheidungen trifft, sondern es künftig Arbeitnehmern überlassen wird, wie sie arbeiten wollen und wie sie aktiv in jede Entscheidungsphase im Unternehmen eingebunden werden – sowohl im operativen als auch im strategischen Geschäft – dann lautet die Antwort wohl noch immer ja. Aber im Zuge der digitalen Transformation stehen uns neuartige Technologien zur Vernetzung und Kommunikation zur Verfügung, deren Nutzung automatisch dazu führen wird, dass die Arbeitswelt sich verändert und wir der oben beschriebenen Utopie Stück für Stück näher kommen werden. Das Umswitchen z. B. auf Home-Office in Zeiten von Corona zeigt wie hilfreich es ist, dass wir Menschen dank der Digitalisierung auch Anders Arbeiten können. Viele nutzen jetzt Videokonferenzen oder Tools wie Slack. Ein Beispiel für dadurch angestoßene Veränderungen: Dem mittleren Management kommt ja eine verbindende Funktion zwischen Unternehmensführung und der operativen Ebene zu. Durch Arbeitstools wie Slack, wo jeder mit jedem direkt kommunizieren kann, könnte plötzlich der Weg über das mittlere Management als Umweg erscheinen und somit die Funktion des mittleren Managements infrage stellen.
Wenn jeder sein eigener Chef wäre
In Deutschland beschäftigen sich rund 74 % der Unternehmen mit dem Gedanken, die New Work Philosophie in die Gestaltung interner Arbeitsstrukturen zu integrieren (Quelle). Ein Großteil dieser Unternehmen hat nach eigenen Angaben bereits Maßnahmen umgesetzt. Warum liest man dann jedoch so selten von kollektiv getroffenen Geschäftsentscheidungen oder positiven Meldungen über selbst erfülltes Arbeiten? Ein Paradebeispiel für hierarchiefreies Arbeiten in Berlin ist die Firma Einhorn, ein Social Start-Up, das seit 2015 mit dem Verkauf von veganen Kondomen in bunten Chipstüten Furore macht. Bei Einhorn bestimmen die Mitarbeiter selbst, wann sie arbeiten und was sie verdienen. Die Philosophie dahinter: Mitarbeiter, die ihre Arbeit lieben, müssen nicht beaufsichtigt werden. „Sie erfüllen keine Vorgaben, sondern wollen aus eigenem Antrieb, dass es gut läuft“, so der Firmengründer Waldemar Zeiler (Quelle). In 2018 machte das Unternehmen bereits netto 1,7 Mio. Euro Umsatz und rund 300.000 Euro Gewinn (Quelle). Zudem streicht das Unternehmen für Vorträge über moderne Unternehmensführung satte Honorare ein.
Utopie oder Wirklichkeit
Die zukunftsweisende Philosophie von New Work wird in der Realität nur partiell adaptiert. Fraglich ist auch, ob es jemals zu einer flächendeckenden Umsetzung kommen wird. Können Unternehmen Managementtätigkeiten überhaupt zur Angelegenheit aller Mitarbeiter machen? Wie würde sich das auf die Geschäftstätigkeit auswirken, wenn Unternehmensentscheidungen die Zeit aller in Anspruch nähmen und Kundenprojekte deswegen liegen blieben? Braucht es wirklich ein Management, das darüber entscheidet, wie Aufgaben verteilt werden? Gerade letzteres widerspricht doch dem Wunsch von Arbeitnehmern, Tätigkeiten auszuüben, die ihren persönlichen Fähigkeiten entsprechen und sich auf diesem Gebiet zu spezialisieren.
Es bleibt spannend, die Transformation der Unternehmen hinsichtlich New Work/Anders Arbeiten zu beobachten. Erst mit der Zeit werden wir sehen, ob New Work eine Utopie bleibt oder Wirklichkeit wird. In der Corona-Krise wird jedoch bereits sichtbar, dass Elemente von New Work und Anders Arbeiten wie Home Office oder Videokonferenzen den Laden buchstäblich am Laufen halten.